Ein katholischer Blick auf die Zeitsymbolik von der Palmsonntagprozession bis zur Auferstehung
Die Evangelien nennen spezifische Stunden – die „dritte“, „sechste“ und „neunte“ Stunde – für die Geschehnisse am Karfreitag. Gleichzeitig umrahmen acht Tage von Palmsonntag bis Ostersonntag (dem „ersten Tag der neuen Woche“) das gesamte Erlösungswerk.
In der katholischen Theologie wird diese Chronologie nicht als Zufall gesehen, sondern als bewusste Rückverweisung auf die sieben Schöpfungstage in Genesis sowie als Vorbild auf die neue Schöpfung in Christus.
Tag 1 – Palmsonntag
Jesus zieht in Jerusalem ein.
→ Entspricht dem ersten Schöpfungstag: Gott beginnt die Schöpfung. Licht tritt in die Dunkelheit – wie Christus in die Welt.
Tag 2 – Montag
Reinigung des Tempels.
→ Wie Gott das Wasser und Firmament trennt, reinigt Christus das „geistliche Haus“.
Tag 3 – Dienstag
Lehrreden Jesu im Tempel.
→ Der dritte Schöpfungstag bringt Pflanzen und Wachstum – hier: das Wachsen des Wortes Gottes.
Tag 4 – Mittwoch (Stiller Mittwoch)
Judas plant den Verrat.
→ Am vierten Tag erschafft Gott Sonne, Mond und Sterne, um Zeiten und Stunden zu ordnen. Auch hier wird die „Stunde“ des Verrats gesetzt.
Tag 5 – Gründonnerstag
Einsetzung der Eucharistie beim letzten Abendmahl.
→ Wie Gott am fünften Tag Leben im Wasser und in der Luft schafft, gibt Christus das neue Leben durch sein Fleisch und Blut.
Tag 6 – Karfreitag
Jesu Kreuzigung und Tod.
→ Am sechsten Schöpfungstag wurde der Mensch erschaffen. Nun stirbt der neue Adam, um die gefallene Schöpfung zu erlösen.
Tag 7 – Karsamstag
Ruhe im Grab.
→ Wie Gott am siebten Tag ruht, ruht auch Christus am Sabbat – im Grab.
Tag 8 – Ostersonntag
Auferstehung Jesu.
→ Der erste Tag der neuen Woche ist zugleich der „achte Tag“ – Beginn einer neuen Schöpfung.
„Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten.“ (Markus 15,25)
Nach dem mosaischen Gesetz wurde morgens ein Lamm geopfert (Tamid).
Christus wird zur gleichen Stunde ans Kreuz geschlagen – Er ist das wahre Opferlamm, das dauerhaft Versöhnung bringt.
Beginn des Tageswerkes Christi zur Erlösung der Welt.
„Von der sechsten Stunde an kam Finsternis über das ganze Land.“ (Matthäus 27,45)
Normalerweise die hellste Stunde des Tages – doch nun bricht Dunkelheit herein.
Es ist das Gegenteil des ersten Schöpfungstags, wo Licht erschaffen wurde.
Christus hängt am Kreuz als Achse zwischen Licht und Finsternis, Himmel und Erde.
„Um die neunte Stunde schrie Jesus laut … und hauchte seinen Geist aus.“ (Markus 15,34.37)
Das zweite tägliche Opfer (Tamid) wurde am Nachmittag dargebracht – zur selben Stunde stirbt Christus.
Seine Opferzeit umfasst also die gesamte Spanne zwischen Morgen- und Abendopfer – Er ist Anfang und Ende.
Nach dem Tod Jesu durchbohrt ein Soldat seine Seite mit einer Lanze.
„Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite und sogleich floss Blut und Wasser heraus.“ (Johannes 19,34)
In Genesis wird Eva aus der Seite Adams geformt.
Die Kirche wird aus der Seite Christi geboren – aus Blut (Eucharistie) und Wasser (Taufe).
Christus = neuer Adam. Die Kirche = neue Eva.
Deshalb wird in der Ehe die Frau „zur Braut“, wie die Kirche zur Braut Christi wird.
Die katholische Kirche nimmt diese Symbolik tief in ihre Liturgie auf:
Stundengebet: Die Gebetszeiten Terz (3. Stunde), Sext (6. Stunde) und Non (9. Stunde) orientieren sich exakt an der Passion.
Osternacht: Die Lichtfeier erinnert an das „Fiat lux“ der Schöpfung – Christus ist das wahre Licht.
Sonntag: Wird von den Christen als „erster Tag der Woche“ gefeiert – wöchentliches kleines Osterfest.
Vesper am Karfreitag: Das letzte Stundengebet vor der Grabesruhe, das die Opferliturgie des Tempels auf Christus hin vollendet sieht.
„Die Kreuzigung ist Spiegel und Heilung der Genesis: Wo das Bild Gottes im Menschen entstellt wurde, stellt Christus es wieder her.“
Die Passion Jesu Christi ist mehr als ein geschichtliches Ereignis – sie ist die Wiederherstellung der ganzen Schöpfung.
Durch Adam kam der Tod – durch Christus kommt das Leben.
Durch den ersten Tag begann die alte Welt – durch den „achten Tag“ beginnt die neue Welt.
Und in jeder Heiligen Messe, in jeder Gebetsstunde, in jedem Osterfest feiern wir diese neue Schöpfung in Christus.
„Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung.“
(2 Korinther 5,17)