Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ist in der modernen Medizin eine etablierte Methode, kinderlosen Paaren zu Nachwuchs zu verhelfen. Ei- und Samenzellen werden außerhalb des Körpers im Labor befruchtet, und die entstandenen Embryonen anschließend in die Gebärmutter übertragen. Doch trotz ihres Potenzials, menschliches Leben zu ermöglichen, wirft IVF grundlegende ethische, moralische und theologische Fragen auf, insbesondere innerhalb des Christentums.
Jedes Jahr gehen weltweit Millionen Embryonen durch IVF verloren. Allein in den USA waren dies 2021 etwa 1,5 bis 1,8 Millionen Embryonen, deutlich mehr als durch Schwangerschaftsabbrüche im selben Zeitraum. Die meisten dieser Embryonen werden verworfen, eingefroren oder in der Forschung verwendet – ein Vorgehen, das moralisch äußerst kontrovers ist, besonders wenn man davon ausgeht, dass menschliches Leben bereits mit der Empfängnis beginnt. Hier liegt das zentrale ethische Dilema: Um neues Leben zu ermöglichen, wird gleichzeitig vielfach menschliches Leben geopfert.
Die Grenzen von „Sola Scriptura“
Besonders im Protestantismus ist das Meinungsbild gespalten. Manche Gläubige lehnen IVF strikt als Sünde ab, andere argumentieren, die Bibel schweige zu diesem Thema und daher sei es moralisch zulässig. Doch genau das zeigt das Problem: Die Schrift allein liefert keine klaren Aussagen zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit moderner bioethischer Fragen wie IVF. Die Folge: Beliebigkeit und Uneinigkeit. Und das betrifft nicht nur Einzelmeinungen, sondern ganze kirchliche Denominationen.
Auch in der Ostkirche zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Manche orthodoxe Christen und Kleriker lehnen IVF kategorisch ab, andere unterstützen sie – besonders wenn keine Embryonen verworfen werden. Die russisch-orthodoxe Kirche etwa verurteilte im Jahr 2000 IVF vollständig. Doch mit dem medizinischen Fortschritt änderte sich die Linie: 2021 wurde IVF unter strengen Bedingungen erlaubt, z. B. nur mit 1–2 erzeugten Embryonen, die sofort übertragen werden müssen – und nur für Ehepaare im gebärfähigen Alter.
Zudem wird im offiziellen Dokument der russischen Kirche betont, dass die Entscheidung zur IVF letztlich dem Beichtvater obliegt, je nach geistlichem Zustand des Paares und deren Fähigkeit, das „Kreuz der Kinderlosigkeit“ zu tragen. Auch dies zeigt: Einheitliche Lehre gibt es nicht – es bleibt abhängig vom individuellen Urteil einzelner Priester.
Im Gegensatz dazu steht der katholische Glaube, der sich auf ein universales, lehramtliches System stützt. Das Lehramt der Kirche – getragen durch das ordentliche und universelle Lehramt sowie das Papsttum – hat IVF klar als schwere Sünde verurteilt. Diese Verurteilung gründet sich nicht nur auf moralische Prinzipien, sondern auch auf eine theologisch-anthropologische Sicht auf den Menschen, Ehe und Fortpflanzung.
Im Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 2377) heißt es dazu:
„Werden diese Techniken innerhalb des Ehepaares angewendet (homologe künstliche Insemination und Befruchtung), sind sie vielleicht weniger verwerflich, bleiben aber dennoch moralisch unannehmbar. Sie trennen den Geschlechtsakt vom Zeugungsakt. Der Akt, der die Existenz des Kindes begründet, ist dann kein Akt mehr, bei dem sich zwei Personen einander hingeben. Somit vertraut man „das Leben und die Identität des Embryos der Macht der Mediziner und Biologen an und errichtet eine Herrschaft der Technik über Ursprung und Bestimmung der menschlichen Person. Eine derartige Beziehung von Beherrschung widerspricht in sich selbst der Würde und der Gleichheit, die Eltern und Kindern gemeinsam sein muss“ (DnV 2,5). „Die Fortpflanzung ist aus moralischer Sicht ihrer eigenen Vollkommenheit beraubt, wenn sie nicht als Frucht des ehelichen Aktes, also des spezifischen Geschehens der Vereinigung der Eheleute, angestrebt wird ... Nur die Achtung vor dem Band, das zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes besteht, und die Achtung vor der Einheit des menschlichen Wesens gestatten eine der Würde der Person entsprechende Fortpflanzung“ (DnV 2,4).“
Diese Sichtweise macht deutlich: Nur wenn der eheliche Akt offen für das Leben ist und den ehelichen Bund ausdrückt, kann auch die Fortpflanzung moralisch richtig eingebettet sein.
Die Kontroversen um IVF zeigen, dass neue moralische Herausforderungen eine verbindliche kirchliche Autorität erfordern. Nur ein universales und lebendiges Lehramt, wie es die katholische Kirche mit dem Papsttum besitzt, ist in der Lage, verbindliche Antworten auf bioethische Fragen zu geben. Dies gilt besonders in einer Zeit, in der ständig neue ethische Herausforderungen entstehen – beispielsweise Leihmutterschaft, Genmanipulation und Stammzellforschung.
Im Protestantismus und in der Orthodoxie fehlt dagegen diese finale Entscheidungsinstanz. Die Folge ist eine zunehmende Fragmentierung und Verunsicherung unter den Gläubigen. Ein Lehramt bietet nicht nur Klarheit, sondern schafft auch Einheit im Glauben und ermöglicht eine ethische Orientierung, die individuell nicht zu leisten ist.
Wenn wir von Einheit sprechen, geht es nicht nur um individuelle Meinungen, sondern um ein einheitliches Glaubens- und Lehrparadigma. Natürlich gibt es auch innerhalb der katholischen Kirche verschiedene Sichtweisen zu Einzelthemen. Doch selbst liberalere Katholiken, die IVF individuell gutheißen mögen, erkennen in der Regel an, dass die offizielle Lehre eindeutig und verbindlich ist: IVF gilt aus kirchlicher Sicht als unmoralisch.
Im Protestantismus und in den orthodoxen Kirchen hingegen fehlen solche verbindlichen, universalen Mechanismen. Ohne das Papsttum und ein autoritatives Lehramt bleiben Gläubige oft in ethischen Kernfragen orientierungslos.
Die Frage nach der moralischen Zulässigkeit von IVF ist mehr als nur ein medizinethisches Randthema. Sie stellt die theologischen und kirchenpolitischen Fundamente der christlichen Konfessionen auf die Probe. Die katholische Kirche bietet – ob man ihrer Position zustimmt oder nicht – eine klare, lehramtlich fundierte und konsistente Antwort. Genau diese Verbindlichkeit fehlt im Protestantismus wie in der Orthodoxie. Und so zeigt IVF auf exemplarische Weise, wie wichtig das Lehramt und das Papsttum für die Einheit und Wahrheit des christlichen Glaubens sind.