Viele sprechen vom „Verzicht“ – weniger Süßes, weniger Serien –, als handle es sich um ein kirchlich verordnetes Detox‑Programm. Aber Fastenzeit ist kein frommes Wellness‐Bootcamp; sie ist Gottes Einladung, das Fundament unseres Lebens neu vermessen zu lassen.
Vierzig ist in der Bibel das Maß der Neuschöpfung: Vierzig Tage Regenflut reinigten die Erde (Gen 7), vierzig Jahre wanderte Israel, um die Sklavenmentalität abzulegen (Ex 16), und vierzig Tage rang Jesus in der Wüste, bevor er öffentlich wirkte (Mt 4). Die Kirche taucht uns bewusst in dieses Zeitmaß, weil hier ein heiliger Prozess greift: das Alte wird abgewaschen, das Neue geboren. Wer nachzählt, merkt: Von Aschermittwoch bis Karsamstag sind es 46 Tage. Der Grund: Jeder Sonntag ist ein kleines Ostern; an ihm wird gefeiert, nicht gefastet. Schon im Kalender leuchtet also das Ziel auf, für das wir unterwegs sind.
Die Tradition nennt Gebet, Fasten und Almosen unsere „Waffen“ (vgl. Mt 6,1‑18). Sie wirken nur gemeinsam:
Gebet bohrt einen Tunnel vom eigenen Herzen in Gottes Herz. Es lenkt den Blick weg von der Sünde, hin zum Erlöser; dort, im Licht, schrumpfen die Schatten.
Fasten sprengt die Tyrannei des Bauchs. Jeder ausgelassene Snack flüstert: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Es ist ein Exorzismus gegen die Gier nach sofortiger Befriedigung.
Almosen zerbrechen den Narzissmus. Wenn ich teile, bekenne ich, dass Besitz ein Dienst und kein Thron ist.
Petrus Chrysologus fasst es zusammen: „Die Seele des Gebets ist das Fasten, das Leben des Fastens die Barmherzigkeit.“ Trenne eines ab, und alle drei sterben. Halte sie vereint, und sie schlagen eine Bresche ins eigene Herz, durch die Ostergnade einströmen kann.
Die Fastenzeit entlarvt die Illusion, der Mensch könne durch Askese Gott beeindrucken. Stattdessen wird das Scheitern selbst zum Sakrament: Wenn das Fasten hungrig macht (und wir es heimlich brechen), wenn das Gebet trocken bleibt (und wir es dennoch sprechen), wird gerade im Versagen die Gnade greifbar (2 Kor 12,9: „Meine Kraft zeigt sich in der Schwachheit“). Eine Läuterung, die nicht durch Kontrolle, sondern durch Kapitulation geschieht.
Lasst uns wie Säuglinge vor Gott stehen – nicht fähig zu großartigen Gebeten oder heldenhaftem Fasten, keine Leistungsreligion, sondern einfach da sein, empfangend und bedürftig. Denn Gott sucht nicht unsere Größe, sondern unsere Bereitschaft, klein zu sein und uns seiner Gnade hinzugeben. Johannes Chrysostomus sagt uns: „Gott sucht nicht, dass du groß fastest, sondern dass du klein wirst.“
Wenn wir unser Fasten dann doch mal brechen, dann lasst uns keine billigen Ausreden finden, sondern die Demütigung akzeptierend vor Jesus treten und Ihm danken: „Danke, Gott, dass du mich an meine Grenzen erinnerst.“
In der Stille vor dem Tabernakel dürfen wir zulassen, dass Gott unsere Schwäche verwandelt. Lass heute dein Schweigen zum tiefsten Gebet werden. Lass dich beschenken, nicht weil du würdig bist, sondern gerade weil du es nicht bist. Genau in dieser Unfähigkeit und Ohnmacht offenbart sich Gottes Herrlichkeit am stärksten.
Von Anfang an war die Fastenzeit auch die finale Etappe der Taufbewerber. Während sie täglich die Schrift hörten und über das Glaubensbekenntnis unterrichtet wurden, prüfte die Gemeinde ihr eigenes Herz: Lebe ich noch aus der Taufe? Die Liturgie konfrontiert uns sonntags mit eben diesen Themen – Versuchung, Verklärung, lebendiges Wasser, Licht – damit wir als Getaufte den Kurs neu justieren. Es ist, als würde Gott sagen: „Lass dich neu taufen, nicht im Wasser, sondern im Geist. Werde, was du bist!“
In Jesus’ dreifacher Versuchung spiegelt sich die Matrix aller Sünden: 1) Brot ohne Gott – das Leben möge meine Wünsche füttern; 2) Spektakel – Gott soll sich beweisen; 3) Macht um jeden Preis. Christus lehnt alle drei Optionen ab und zeigt damit, wie wahre Freiheit aussieht: Er entscheidet sich für den Willen des Vaters, auch wenn er ans Kreuz führt. Die Fastenzeit drängt uns, dieselbe Wahl zu treffen. Nicht, um uns kleiner zu machen, sondern um unsere Freiheit zu rehabilitieren.
Die liturgische Farbe Violett verrät es: Fastenzeit ist Zwielicht, nicht Nacht. Am Horizont lodert schon das Osterfeuer. Deshalb greift die Kirche in der Osternacht nach den alten Fragen: „Widersagst du dem Satan? … Glaubst du?“ Die Fastenzeit ist nichts anderes als die ehrliche Vorbereitung auf dieses doppelte Ja. Wenn wir das Kreuz auf uns nehmen, das Brot teilen, die Knie beugen, dann lockert sich der Panzer um unser Herz. Aus der Asche von Aschermittwoch kann wieder Erde werden, in der neues Leben keimt.
Fastenzeit heißt darum nicht: weniger Leben. Sie heißt: intensiver leben – entlastet vom falschen Glanz, aufgeräumt für die Ankunft des Herrn. Wer die Wüste nicht meidet, entdeckt dort eine Quelle, die bis in die Ewigkeit sprudelt.