Am 12. Sonntag im Jahreskreis steht der Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus im Zentrum. Die Kirche lädt ein, die eigene Identität aus seiner durchbohrten Seite, aus Taufe und Eucharistie zu empfangen und das Kreuz als Weg zum Leben anzunehmen.
Lesungen
Sacharja 12,10–11; 13,1: Der verheißene „Durchbohrte“ ruft tiefe Reue hervor; gleichzeitig entspringt eine reinigende Quelle gegen Sünde und Unreinheit – Vorausbild von Blut und Wasser aus Christi Seite (Joh 19,34–37).
Psalm 63: Die Seele dürstet nach Gott; seine liebende Gegenwart sättigt besser als Leben selbst. Echter Gottesdurst führt in Anbetung und Jubel.
Galater 3,26–29: Getauft auf Christus tragen wir Christus wie ein neues Gewand. Alle Trennungen (ethnisch, sozial, geschlechtlich) sind aufgehoben; wir sind ein Leib und Erben Abrahams.
Lukas 9,18–24: Petrus bekennt Jesus als den Christus Gottes. Jesus offenbart sofort Passion, Tod und Auferstehung und ruft zur täglichen Kreuzesnachfolge: Selbstverleugnung führt zum wahren Leben.
Die Lesungen des heutigen Tages enthüllen die tiefere Grammatik der Heilsgeschichte, die im Bild einer unversiegbaren Quelle gründet. Der Apostel Paulus identifiziert den Felsen, der den Israeliten in der Wüste folgte und ihnen Wasser spendete, explizit als Christus selbst (1 Kor 10,4). Dieser Fels, diese nie versiegende Quelle physischen Lebens in der Wüste, findet seine prophetische Entsprechung in der Vision des Sacharja: eine Quelle, die nicht mehr nur den Durst stillt, sondern eine tiefere, reinigende Kraft gegen „Sünde und Unreinheit“ (Sach 13,1) besitzt.
Ihre ultimative Erfüllung findet diese Symbolik im Neuen Testament, im durchbohrten Leib Christi am Kreuz. Der Blick auf den „den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10), den Jesus in seiner Leidensankündigung vorwegnimmt (Lk 9,22), öffnet die wahre Quelle: Aus seiner Seite fließen Blut und Wasser (Joh 19,34), die Symbole für Eucharistie und Taufe. Durch die Taufe auf Christus werden wir von der Erbsünde reingewaschen und ziehen ein „neues Gewand“ an – wir „haben Christus angezogen“ (Gal 3,27).
Hier entfaltet sich die volle Tragweite: Diese neue Identität isoliert uns nicht, sondern fügt uns in einen neuen Organismus ein, den Leib Christi. Paulus betont, dass in diesem Leib die Vielfalt – „nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich“ (Gal 3,28) – nicht ausgelöscht, sondern geheiligt wird. Gemäß der Theologie des Leibes sind gerade die Unterschiede, wie die zwischen Mann und Frau, keine Defizite, sondern komplementäre Gaben, die zur gegenseitigen Hilfe auf dem Weg zu Gott bestimmt sind. Sie sind dazu da, einander in der Selbsthingabe zu unterstützen.
Damit stellen die Lesungen uns vor eine radikale Wahl. Der Weg der Welt ist die Selbstbewahrung: das egozentrische „Sich-um-sich-selbst-Drehen“, das in die innere Leere, die Depression und den geistlichen Tod führt – ein Einigeln in der eigenen Wüste. Der Weg des Reiches Gottes, den Jesus verkündet, ist das genaue Gegenteil: die Selbsthingabe, das Sich-Schenken, das bewusste Annehmen von Leid und Tod für andere. „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“ (Lk 9,24). Dieser paradoxe Weg des Verlustes ist der einzige, der zur Quelle des wahren, glückseligen Lebens, zur Auferstehung und zur ewigen Gemeinschaft mit Gott führt.
Konkret umsetzen diese Woche
Heilige Stunde halten: Stell dich vor den Durchbohrten. Diese Woche einmal eine Stunde in Anbetung verbringen – nicht betteln, nur schweigend das Kreuz anschauen (Joh 19,37). Verleugne dich, indem du die Zeit Gott schenkst, selbst wenn du „keine Lust“ hast (Lk 9,23).
Lobpreis aus der Leere: Spür deinen Durst. Bevor du betest, halte inne: Fühl das Loch in dir, das nur Gott füllt (Ps 63,2). Dann jubel ihm zu – nicht weil du dich „voll“ fühlst, sondern weil er deine Leere stillt.
Zeit verschenken statt verbrauchen: Ersetze Selbstfürsorge durch Nächstenliebe. Diese Woche eine konkrete Stunde, die du normalerweise für dich nutzt (z.B. TV, Social Media), stattdessen einem einsamen Menschen schenken – anrufen, besuchen, zuhören (Gal 6,2). Echte Selbstverleugnung (Lk 9,24) beginnt im Kalender.