Die Kirche beginnt die Liturgie mit Jubel: Kinder wedeln mit Zweigen, Erwachsene heben Palmkronen, der Diakon liest das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem (Mt 21 ff). „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, der kommt im Namen des Herrn!“ – der Psalm 118 wird zur Straßenhymne. Äußerlich wirkt alles wie die Feier der langersehnten Befreiung, doch schon der erste Blick auf den Protagonisten verrät eine subversive Dramaturgie: Der König reitet auf einem Esel. Kein Schlachtross, kein Prunkwagen, sondern das Lasttier eines armen Mannes.
Der Katechismus kommentiert diese Szene lapidar, aber pointiert: „Der König der Herrlichkeit zieht ein, um Zeugnis für die Wahrheit abzulegen – nicht durch List und Gewalt, sondern durch Demut.“ (KKK 559) Die Menge feiert einen irdischen Befreier; Jesus aber bekräftigt mit jedem Hufschlag, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Sacharja 9,9 hatte es angekündigt: „Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig, reitend auf einem Esel.“ Wer so anreist, dem geht es nicht um geopolitische Revolution, sondern um Herzensumsturz.
Palmsonntag ist bewusst zweigeteilt: Erst die Prozession der Freude, dann die Passionslesung. In derselben Eucharistie litten wir mit, wie die Hosanna‑Rufer zu „Kreuzige ihn!“ schreien. Wir alle tragen die Saat der Untreue in uns – und die Fastenzeit hat uns hoffentlich sensibel gemacht, sie zu erkennen. Jeder gebrochene Vorsatz, jede bequeme Ausrede erinnert daran, wie schnell unsere eigenen Palmen verwelken.
Der Jubelruf „Gesegnet sei, der kommt im Namen des Herrn“ ist nicht nur historische Erinnerung; er hallt im Sanctus jeder Messe wider. Sobald Brot und Wein erhoben werden, stimmt die Gemeinde dasselbe Hosanna an – und bekennt: Der König zieht jetzt sakramental ein. Der Altar wird zur Straße Jerusalems, die Hostie zum neuen Thron. So verbindet Palmsonntag Liturgie und Leben: Wer wirklich „Hosanna“ ruft, lässt Christus über alle Lebensbereiche herrschen, auch über die Kreuzwege, die noch kommen.
Ein Kirchenvater bemerkte augenzwinkernd: „Der wahre Held des Tages ist das Tier, das Christus tragen darf.“ Palmsonntag fragt uns deshalb weniger, ob wir Jesus bejubeln, sondern ob wir sein Reittier sein wollen – uns von ihm lenken lassen, klein bleiben, damit seine Herrlichkeit sichtbar wird. Das ist die geistliche Agenda der Karwoche: Demut statt Drama, Gehorsam statt Geltung.
Mit Palmsonntag öffnet sich das Tor zur Heiligen Woche. Die Palmen, die wir nach Hause tragen, verdorren langsam; doch ihr Kreuzchen über dem Türrahmen erinnert ein Jahr lang: Jesu Triumph ist verborgen im Zeichen des Leidens. Halten wir die Zweige nicht als Trophäe, sondern als Verheißung. Wer dem König jetzt folgt – durch Abendmahlssaal, Garten, Gerichtshof und Golgota –, wird am Ostermorgen erleben, dass kein Grab seine Herrschaft einsperren kann.
Legen wir also unsere Erwartungen nieder wie Palmzweige auf den staubigen Weg. Sagen wir ein Hosanna, das tiefer reicht als Stimmung: ein Hosanna, das auch unter dem Kreuz Bestand hat. Denn dort, wo scheinbare Niederlage regiert, beginnt Gottes Sieg.