Am 15. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahrs B steht die Nähe Gottes und die Aufforderung zur christusähnlichen Nächstenliebe im Mittelpunkt. Diese Lesungen rufen uns auf, das Wort Gottes nicht als fernes Ideal zu betrachten, sondern als lebendige Kraft in unserem Alltag zu leben.
Dtn 30,9c-14: Mose betont, dass Gottes Gebot nicht fern ist, sondern im Mund und Herzen des Volkes liegt. Es fordert zur Rückkehr zu Gott mit ganzem Herzen auf und verspricht Segen durch Gehorsam. Dies unterstreicht, dass das Wort Gottes greifbar und erfüllbar ist, wie es heißt: „Das Wort ist ganz nah bei dir, du kannst es halten.“
Ps 69 (68),14 u. 17.30-31.33-34.36-37: Der Psalm ist ein Gebet um Erbarmen und Rettung, das Gott als Helfer der Gebeugten preist. Er ruft zur Freude auf, da Gott die Armen hört und Zion rettet. Dies zeigt Gottes treue Huld, wie im Refrain: „Ihr Gebeugten, suchet den Herrn; euer Herz lebe auf!“
Kol 1,15-20: Paulus beschreibt Christus als Bild des unsichtbaren Gottes und Erstgeborenen der Schöpfung, in dem alles besteht. Er versöhnt die Welt durch sein Blut am Kreuz. Dies offenbart Christus als Zentrum der Schöpfung und Erlösung, wie es heißt: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen.“
Lk 10,25-37: Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt Jesus, wie man zum Nächsten wird, und zeigt, dass Barmherzigkeit keine Grenzen kennt. Der Samariter handelt konkret mit Mitleid und Hilfe. Jesus fordert: „Geh und handle du genauso!“, und betont die Liebe zu Gott und Nächsten als Weg zum ewigen Leben.
Deuteronomium versichert: Gottes Wille ist keine ferne Theorie, sondern in unser Herz geschrieben (Dtn 30,14). Der Kolosserbrief gibt diesem Wort Fleisch und Namen: Christus, in dem "die ganze Fülle Gottes wohnt" (Kol 1,19), versöhnt die Schöpfung. Das Evangelium sprengt alle theoretischen Diskussionen: Der barmherzige Samariter zeigt, dass ewiges Leben nicht durch Wissen, sondern durch tätige Liebe gewonnen wird.
Der Priester und Levit sahen im Überfallenen eine rituelle Gefahr – ihre Gottesfurcht war zur Perversion geworden. Sie fürchteten Verunreinigung mehr als den Bruch des Liebesgebots. Der Samariter hingegen erkannte: Gott findet man nicht durch Flucht vor der Welt, sondern durch barmherziges Eintauchen in ihre Wunden.
Der Gesetzeslehrer fragt: "Wer ist mein Nächster?" (Lk 10,29) – er sucht Grenzen. Jesus kehrt die Frage um: "Wer wurde zum Nächsten?" (Lk 10,36). Die Antwort:
Nächste sein ist kein Status, sondern Tat
Gott selbst macht sich zum "Nächsten" der Menschheit in der Menschwerdung
Unser Tun macht uns zum Ebenbild des barmherzigen Christus
Am Kreuz wird Gott zum "Gebeugten" (Ps 69,33): Der erhöhte Christus (Phil 2,9) ist derselbe, der sich im Samariter beugt. Die drei Passanten offenbaren Heilsstufen:
Priester = Gesetz (kann nicht retten)
Levit = Propheten (zeigt die Wunde, aber heilt nicht)
Samariter = Gnade Christi (tut das Unmögliche: Reinigt durch Berührung des "Unreinen")
"Nicht der Samariter erbarmte sich wegen seiner Tugend, sondern weil Christus in ihm handelte." (Augustinus)
1. Das Hinabsteigen in den Graben
Christus, der "in göttlicher Gestalt war" (Phil 2,6), verlässt die Herrlichkeit des Himmels und steigt freiwillig in den Morast unserer gefallenen Menschheit hinab. Wie der Samariter den Überfallenen "sah und Mitleid hatte" (Lk 10,33), erblickt Gott unser Elend: "Durch Adams Fall ist die Menschheit wie ein halbtoter Wanderer am Wegrand liegengeblieben" (Augustinus). Der Gottessohn berührt unseren von Dämonen geschlagenen Zustand – nicht als ferner Richter, sondern als mitleidender Arzt.
2. Das Blut als heilendes Öl
Das Öl und der Wein (Lk 10,34) sind mehr als physische Heilmittel:
Das Öl symbolisiert den Heiligen Geist ("Salbung von dem Heiligen", 1 Joh 2,20), der Wunden der Sünde weich macht und zur Umkehr bereitet
Der Wein ist das Blut Christi, das "zur Vergebung der Sünden vergossen wird" (Mt 26,28)
In der Kreuzigung vereinen sich beide: Aus der geöffneten Seite Christi (Joh 19,34) fließt Blut und Wasser – Sakramente der Kirche. Der Samariter verbindet die Wunden: So verbindet Christus durch sein Opfer unsere zerrissene Natur mit der göttlichen.
3. Die Herberge als Kirche
Die Herberge ist kein profaner Ort, sondern Vorabbildung der Kirche:
Der Wirt repräsentiert die Apostel und ihre Nachfolger, die die Heilung bewahren
Die zwei Denare (Lk 10,35) sind das doppelte Liebesgebot (Mt 22,37-40) und die zwei Testamente
Das Versprechen "Ich komme wieder" ist die Garantie der Wiederkunft Christi (Joh 14,3)
Hier wird der Verwundete nicht nur gepflegt, sondern zur völligen Genesung geführt – wie die Kirche durch Eucharistie und Bußsakrament die volle Gemeinschaft mit Gott wiederherstellt.
"Der barmherzige Samariter ist Christus selbst... Die Herberge ist die Kirche. Der Wirt ist das Haupt der Kirche. Die zwei Denare sind das Alte und Neue Testament." (Origenes, Homilie zum Lukasevangelium 34,3)
Beichte als Herzens-Reinigung: Suche das Sakrament der Versöhnung. Frage: "Wo habe ich Menschen wie der Priester/Levit als 'Störfaktor' behandelt?" (Dtn 30,10)
"Öl und Wein"-Geste: Leiste einem vernachlässigten Menschen (Nachbar, Kollege, Obdachloser) konkrete Hilfe:
Ein Essen schenken
Zuhören ohne Zeitlimit
Körperliche Arbeit anbieten (vgl. Lk 10,34)
Eucharistische Umarmung: Nach der Kommunion beten: "Herr, mach mich heute zum Samariter. Zeige mir, wem ich zum Nächsten werden kann." (Kol 1,18)
"Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat" (1 Joh 4,19). Die Tat der Barmherzigkeit ist immer Antwort auf den sich verschenkenden Christus.