Noch liegt der Tau der Nacht auf den Olivenzweigen, als Maria von Magdala zum Grab eilt – und einen umgestürzten Stein findet. Ein Engel, leuchtend wie ein Blitz, verkündet das Ungeheuerliche: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist auferstanden!“ (Lk 24,5‑6). In diesem Satz erschüttern zwei Verben das alte Weltgefüge: suchen – auferstehen. Alles menschliche Suchen nach Sinn, nach Unvergänglichkeit, nach Liebe, stößt plötzlich auf eine neue Wirklichkeit jenseits der Zerfallsstatistik. Osterglaube ist nicht Leichnam‑Abwesenheit, sondern Leibhaft‑Gegenwart: Der Gekreuzigte lebt, mit verwandelten Wundmalen, aber identischer Identität.
Die Kirchenväter nennen Ostern den „achten Tag“ (KKK 349). Die Schöpfungswoche war voll, doch Gott eröffnet einen überzähligen Tag; Zeit wird von innen her aufgebrochen und in Ewigkeit überführt. Darum verlegt die Kirche den Gottesdienst auf diesen Tag: Jede Eucharistie ist ein Mikro‑Ostern, in dem Christus durch verschlossene Türen tritt und ruft: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19). Die Jünger erhalten den Heiligen Geist und damit Autorität, Sünden zu vergeben – ein direkter Abfluss des eben errungenen Sieges über den Tod.
Das leere Grab könnte man wegdiskutieren; die Erscheinungen vielleicht als Halluzinationen abtun. Aber Petrus verankert den Oster‑Beweis anders: „Wir haben mit ihm gegessen und getrunken, nachdem er von den Toten auferstanden war“ (Apg 10,41). Realer geht es nicht. Christlicher Glaube ist deshalb von Anfang an antignostisch: Materie ist nicht Müll, sondern Berufungsort der Herrlichkeit. Die Auferstehung adelt den Körper – deinen Körper –, macht ihn hoffnungsträchtig bis in die Zellen.
Paulus spitzt es zu: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unser Glaube sinnlos“ (1 Kor 15,14). Ostern entscheidet alles. Wenn Christus lebt, ist der Tod entthront und die Angst‑Ökonomie zerbricht. Christen dürfen begraben, ohne zu resignieren; leiden, ohne zu verzweifeln; verlieren, ohne unterzugehen. Die Märtyrertradition der Kirche ist kein kollektiv‑suizidaler Reflex, sondern das rationale Verhalten von Leuten, die wissen, dass sie „nicht hier ihre bleibende Stadt haben“ (Hebr 13,14).
In der Osternacht erneuern wir das Taufbekenntnis: dreimaliges „Ich widersage“ gegen das Böse, dreimaliges „Ich glaube“ an Vater, Sohn, Geist. Liturgisch steigen alle Getauften durchs Taufwasser in das Auferstehungs‑Land – wie Israel einst durchs Schilfmeer. Die Taufe ist dein persönlicher Ostersonntag, das Datum, an dem dein alter Adam beerdigt und der neue Mensch (Kol 3,1‑3) aktiviert wurde. Darum besprengt der Priester die Gemeinde mit Osterwasser: Erinnerungsschauer an deine eigene Neuschöpfung.
Auferstehung ist kein Epilog, sondern Prolog. Sie zwingt zu einer Ethik, die den Tod bereits als „überwundenen Feind“ (1 Kor 15,26) behandelt. Wer glaubt, dass die Welt auferstehen wird, kann sie nicht ausbeuten. Wer glaubt, dass jeder Mensch für die Unsterblichkeit bestimmt ist, kann keinen Menschen abschreiben. Osterlogik ist Solidaritätslogik: Almosen, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz – alles bekommt eschatologischen Rückenwind.
Die Kerze brennt, das Gloria donnert, das „Halleluja“ kehrt nach vierzig Tagen Schweigen zurück. Doch das eigentliche Ziel des Festes ist nicht ein sentimentales Hochgefühl, sondern eine Auferstehungs‑Mentalität:
Mut, wo Angst dominiert.
Vergebung, wo Rechnung offen ist.
Lobpreis, wo Klagekultur herrscht.
So wie der Engel den Frauen sagt: „Geht und verkündet!” (Mt 28,7), so endet jede Messe mit: Ite, missa est – „Ihr seid gesandt“. Denn das Evangelium ist ein Lauf‑Feuer, kein Tischfeuerwerk.
Ostern heißt: Die Realität hat einen Riss, und durch den strömt unendliches Leben. Wer einmal hindurchgeschaut hat, wird nie mehr Gefangener des Endlichkeits‑Dogmas sein. Deshalb ruft die Kirche seit der Antike:
Christus ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!
Nimm diesen Ruf in dein Herz, in deine Wohnung, an deinen Arbeitsplatz. Lass ihn in jeder Schwäche widerhallen: Der Herr lebt – und deshalb wirst auch du leben.