Wir schmücken Altäre in Rot, entzünden Kerzen, vielleicht treffen wir uns mit der Familie – aber häufig bleibt Pfingsten das übersehene Fest des Kirchenjahres. Dabei ist es der Geburtstag der Kirche und das theologische Gegenstück zu Weihnachten: Dort nimmt Gott Fleisch an, hier nimmt er Wohnung im Innersten des Menschen.
Von Babel nach Zion: Vom Sprachenchaos zur Herzenssprache
In der Leseordnung ist Genesis 11,1-9, der Turmbau zu Babel, eine der Lesungen der Vigilmesse zu Pfingsten. Wir lesen hier vom Projekt der Menschen, sich selbst einen Turm bis zum Himmel zu bauen, um sich einen Namen zu machen. Immer dann, wenn der Mensch versucht, aus eigener Kraft in den Himmel zu gelangen – sich selbst das Paradies auf Erden zu schaffen, sei es in Form des Kommunismus, des Kapitalismus, des Transhumanismus oder anderer Ideologien – fangen die Menschen irgendwann an, sich nicht mehr zu verstehen. Sie haben verschiedene Ideale und werden sich nicht einig. Sie sprechen eine je andere Sprache. Verschiedenste Geister breiten sich aus und stiften Unfrieden, Streit, Krieg und Leid.
Pfingsten in Apg 2 ist die Antwort Gottes auf die Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel. Gott steigt herab, nicht der Mensch hinauf. Er gießt den Heiligen Geist in Form von Feuerzungen über die Jünger Jesu aus. Diese beginnen, Gottes große Taten zu verkünden, und alle Menschen verstehen sie, als ob sie die gleiche Sprache sprechen würden. Der Heilige Geist bringt durch die frohe Botschaft Frieden, Einheit, Verständnis und Heilung. Jesus ist auferstanden, Halleluja. Er ist der einzige Weg, der durch die Wahrheit in das ewige Leben führt.
Ein einfaches Ja in der Taufe genügt, um Kind Gottes zu werden. Feuerzungen zerbrechen die Angst, und die frohe Botschaft wird von Galiläern gepredigt, aber in Parther‑, Kreter‑ und römischem Akzent verstanden. Ein Exegese‑Detail verrät das Wunder: Lukas zählt 15 Völker auf – ein literarisches Echo auf die 70 Nationen in Genesis 10. Wo Babel die Menschheit fragmentierte, fängt der Geist an, sie zu vereinen.
Der Geist kommt im Brausen und zugleich in Zungen wie Feuer. Das erste zerreißt die verschlossenen Türen der Angst, das zweite zündet jeden Jünger zu lebendigem Brennstoff an. Petrus, der eben noch vor einer Magd schwieg, verkündet furchtlos die „frohe Botschaft“ vom Leben, Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Die Lektion: Christliche Mission ist kein Rekrutieren für einen Club; sie ist Überdruckventil des Heiligen Geistes. Wer brennt, muss strahlen.
Sieben Gaben – zwölf Früchte – eine Kirche
Weisheit, Verstand, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit, Gottesfurcht – diese klassischen sieben Gaben (Jes 11) sind keine religiösen Accessoires; sie sind Betriebssystem für eine neue Existenz.
Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung (Gal 5) sind nicht moralische Pokale, sondern Früchte; sie wachsen zwangsläufig, wenn der Spiritus Sanctus wurzelt.
Wo diese Früchte reifen, erfüllt sich die Präfation des Versöhnungshochgebets: „Dein Geist bewegt die Herzen, wenn Feinde reden, Gegner sich die Hände reichen, Völker einen Weg zueinander suchen.“ Pfingstliche Einheit ist kein Einheitsbrei, sondern ein Miteinander vieler Stimmen – viele Sprachen, ein Evangelium.
Die Kirche nennt Pfingsten keinen Jahrestag, sondern ein permanentes Jetzt. In jeder Firmung, jeder Weihe, jeder guten Beichte wirkt derselbe Paraklet (Hl. Geist), der einst das Abendmahlszimmer durchblies. Darum ermuntert Paulus: „Lasst euch ständig vom Geist erfüllen!“ (Eph 5,18). Wie?
Anrufen: „Komm, Heiliger Geist“ ist kein Kirchenlied, sondern ein Machtwort.
Wort Gottes aufnehmen: Die Bibel ist das einzige Buch, das dich liest, während du es liest.
Sakramente leben: Die Eucharistie ist Brennstoff, die Beichte reinigt das Herz – macht Platz für Gottes Geist.
Pfingsten verpflichtet: Wer den Geist empfängt, trägt Verantwortung für Versöhnung. Beginne im Nahbereich: eine ungelöste Familienfehde, ein zäher Konflikt am Arbeitsplatz. Bitte um die Gnade, zuerst die Hand zu reichen. Denn jede persönliche Beilegung eines Streits ist eine Mini‑Pfingsten‑Zündung, ein sichtbares Statement gegen das alte Babel.
Am Ende bleibt die Zusage Jesu: „Der Vater wird euch einen anderen Beistand senden, der in Ewigkeit bei euch bleibt“ (Joh 14,16). Pfingsten ist daher kein Strohfeuer, sondern die ewige Flamme, die bis zur Wiederkunft Christi brennt. Lass sie dein Herz entzünden – nicht nur heute, sondern jeden Morgen. Dann wird durch dich wahr, was die Welt seit Babel ersehnt: ein Friede, den keine Ideologie liefern kann, weil er nicht von Menschen, sondern von Gott kommt.
Veni, Sancte Spiritus! – Komm, Heiliger Geist, und erneuere das Angesicht der Erde … beginnend mit dem meinen.