Am Palmsonntag geht es um das Leiden und die Hingabe Jesu Christi, der sich freiwillig in die Hände seiner Peiniger begibt und gehorsam den Weg des Kreuzes geht. Die Lesungen verdeutlichen, wie Jesus in völliger Hingabe und Demut Gottes Willen erfüllt und dadurch zum Erlöser der Welt wird.
Jes 50,4-7: Der leidende Gottesknecht verkörpert unerschütterliches Vertrauen in Gott trotz Schmach und Gewalt. Seine Hingabe wird zum Vorbild für alle, die Verfolgung um der Wahrheit willen ertragen.
Psalm 22 (21),8-9.17-20.23-24: Ein Psalm der Verlassenheit und des Schmerzes, der prophetisch Jesu Leidensweg vorwegnimmt. Trotz scheinbarer Gottverlassenheit vertraut der Leidende auf Rettung und verkündet schließlich Gottes Treue und Herrschaft - ein Hinweis auf die Auferstehung.
Phil 2,6-11: Dieser Hymnus beschreibt die Selbsterniedrigung (Kenosis) Christi: Obwohl Gott gleich, wurde er Mensch und Sklave, "er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.". Darum hat Gott ihn erhöht und ihm den höchsten Namen gegeben, "damit alle ... ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu".
Lk 22,14 – 23,56: Das Evangelium berichtet ausführlich vom Letzten Abendmahl mit der Einsetzung der Eucharistie ("Das ist mein Leib...", "Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut..."), dem Gebet und der Angst am Ölberg, dem Verrat, der Verleugnung durch Petrus, dem Prozess, der Kreuzigung und dem Tod Jesu. Lukas betont Jesu Barmherzigkeit ("Vater, vergib ihnen..."), seine Vergebung gegenüber dem reuigen Schächer ("Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.") und seine Annahme des väterlichen Willens ("Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.") auch im tiefsten Leid.
Die Lesungen am Palmsonntag verdeutlichen, dass wahre Größe und Erlösung aus Demut, Gehorsam und selbstloser Hingabe entspringen. Jesu freiwilliger Weg ans Kreuz zeigt, dass Gottes Plan gerade durch scheinbare Schwäche und Erniedrigung verwirklicht wird. Dadurch wird deutlich, dass echte Macht nicht in weltlicher Stärke liegt, sondern in der hingebungsvollen Liebe, die bereit ist, für andere Leiden auf sich zu nehmen. Seine Hingabe am Kreuz ist die endgültige Erfüllung des Alten Bundes und Quelle des Neuen Lebens. Wie Augustinus schrieb: „Das Holz des Kreuzes wurde zum Thron seiner Herrschaft.“
Ein besonderer Einblick ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Lukas' Passionsdarstellung mit dem Philipperbrief. Während der Philipperbrief die kosmische Dimension der Erniedrigung und Erhöhung beschreibt (Kenosis und Verherrlichung), zeigt Lukas, wie Jesus diese theologische Realität im Konkreten lebt und aktiv gestaltet. Seine beständige Hinwendung zum Vater im Gebet ("Vater, wenn du willst...", "Vater, vergib ihnen...", "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist"), seine bewussten Akte der Barmherzigkeit (Heilung des Ohrs, Vergebung für die Peiniger, Zusage an den Schächer) und die Einsetzung der Eucharistie als Vermächtnis des Neuen Bundes ("Tut dies zu meinem Gedächtnis!") sind nicht nur passive Reaktionen auf das Geschehen. Sie sind aktive priesterliche Handlungen, durch die Jesus das im Philipperbrief beschriebene göttliche Heilsdrama vollzieht. Er erleidet die Passion nicht nur als das Opferlamm oder der leidende Knecht, sondern agiert gleichzeitig als der Hohepriester und König des Neuen Bundes (vgl. Hebräerbrief), der sich selbst als Opfer darbringt.
Die Eucharistie ist somit die sakramentale Fortsetzung dieses aktiven, priesterlichen Opfers, in dem Erniedrigung und beginnende Verherrlichung ("Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein") untrennbar verbunden sind und uns zugänglich gemacht werden. Jesu Hingabe am Kreuz ist nicht bloß passives Erdulden, sondern aktive Neuschöpfung. Wie das erste Paradies durch menschlichen Ungehorsam verloren ging (vgl. Gen 3), eröffnet Jesu Gehorsam am Kreuz ein neues Paradies („Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“, Lk 23,43). Diese „neue Schöpfung“ ist Kern der Eucharistie: sie zeigt, dass die Messe kein bloßes Gedächtnis ist, sondern reale Teilhabe am Opfer Christi.
Den Weg des Herrn durch seine Passion von Palmsonntag bis zur Karwoche mitzugehen, heißt: in das Geheimnis einer Liebe einzutreten, die leidet und erlöst. Es ist eine heilige Einladung, Ablenkungen hinter sich zu lassen, den Lärm der Welt zum Schweigen zu bringen und mit ihm im Garten der Traurigkeit zu wachen.
Wir gehen nicht als Zuschauer, sondern als Sünder, die Barmherzigkeit brauchen, und stellen uns unter den Schatten des Kreuzes, an dem das unschuldige Lamm für unsere Schuld blutet. Jeder Tag dieser Woche ist ein Schritt näher nach Golgotha – ein Ruf zu tieferer Umkehr, zu Tränen der Reue, dazu, unser eigenes Kreuz anzunehmen und mit seinem zu vereinen.
Lassen wir unsere Herzen von Schmerz durchbohren, wenn wir auf den gebrochenen Leib unseres Erlösers schauen – nicht in Verzweiflung, sondern in Dankbarkeit für eine Liebe, die so göttlich ist. In der Stille des Gründonnerstags, in der Agonie des Karfreitags und im Warten des Karsamstags sterben wir der Sünde mit Ihm, um mit Ihm aufzuerstehen in die Herrlichkeit des Ostermorgens.
Dies ist die Woche, in der der Himmel durch die Wunden Christi die Erde küsste. Lassen wir sie nicht unberührt an uns vorübergehen.