Im Jahr 711 änderte sich das Schicksal der Iberischen Halbinsel dramatisch: Muslimische Truppen der Umayyaden aus Nordafrika eroberten das Westgotenreich in einem rasanten Feldzug. Innerhalb kürzester Zeit lag ganz Iberien unter islamischer Herrschaft und wurde als „Al-Andalus“ bekannt. Selbst nach Südfrankreich wagten sich die muslimischen Truppen in den Folgejahren vor. Der christliche Widerstand war praktisch zusammengebrochen; das Reich der Westgoten lag in Trümmern, ihre Krieger waren gefallen oder zerstreut, die Bevölkerung floh nach Norden. Widerstand schien völlig aussichtslos.
Doch in den unzugänglichen Bergen Asturiens entzündete sich eine Flamme der Hoffnung: Ein einzelner Mann namens Pelayo weigerte sich, den Eroberern zu huldigen. Er war ein Edelmann, dessen Stolz und Glaube nicht zuließen, dass er sich den neuen Herrschern unterwarf. Pelayo gelang es, aus der Gefangenschaft der Muslime zu entkommen und im rauen Norden Asturiens eine kleine Gruppe Gleichgesinnter um sich zu sammeln. Unter ihnen waren Adelige, einfache Krieger, Ausgestoßene und die letzten Überlebenden westgotischen Stolzes. Diese kleine Schar, vermutlich nur wenige hundert Mann stark – die Legende spricht symbolhaft von genau 300 Kriegern –, hatte weder ein Reich noch königliche Macht hinter sich, sondern nur ihren eisernen Willen und ihren unerschütterlichen christlichen Glauben.
Als der umayyadische Statthalter Al-Qama von diesem Widerstand hörte, sah er darin eine unerträgliche Provokation. Für ihn war klar: Diese Rebellion musste endgültig und exemplarisch zerschlagen werden. Er entsandte deshalb eine gewaltige Armee nach Norden, um die letzten freien Christen nicht nur zu besiegen, sondern vollständig zu vernichten und aus der Geschichte zu tilgen.
Die kleine Gruppe um Pelayo schien diesem Vorhaben hoffnungslos unterlegen zu sein. Doch diese Männer kämpften nicht allein. Der Legende zufolge erschien ihnen in der Nacht vor der Schlacht in einer Höhle (die heute als die berühmte „Cova Dominica“ oder Covadonga bekannt ist) die Jungfrau Maria selbst und versprach ihnen, dass Gott auf ihrer Seite kämpfen werde.
Die entscheidende Begegnung fand im Sommer des Jahres 722 in der engen Schlucht von Covadonga statt. Pelayo und seine Krieger nutzten das Gelände meisterhaft: Sie standen Schild an Schild, Schwert an Schwert, unerschütterlich wie die Felsen der Berge selbst. Die zahlenmäßige Überlegenheit der muslimischen Armee erwies sich in diesem engen und zerklüfteten Gelände plötzlich als tödliche Schwäche. Als die Truppen der Umayyaden in die enge Schlucht vorrückten, regnete es Steine und Pfeile von den steilen Klippen herab. Pelayo nutzte den richtigen Moment und führte seine Männer zum Angriff. Panik brach in der gegnerischen Armee aus. Viele Soldaten stürzten in den Abgrund oder wurden von den eigenen nachrückenden Reihen niedergetrampelt. Ihr Kommandeur Al-Qama fiel in diesem Chaos. Die einst unbesiegbare Armee von Al-Andalus war vernichtend geschlagen.
Die Schlacht von Covadonga war nicht bloß ein militärischer Sieg, sondern ein historischer Wendepunkt. Zum ersten Mal seit der muslimischen Invasion wurde klar, dass die muslimische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel verwundbar war. Die Nachricht von diesem Triumph verbreitete sich rasch und entzündete überall die Hoffnung auf Freiheit. Pelayo wurde nun nicht mehr nur als einfacher Rebell gesehen, sondern als Symbolfigur des christlichen Widerstandes. Er wurde als erster König Asturiens ausgerufen. Unter seiner Herrschaft begannen die Asturier nach und nach, ihr Territorium auszudehnen und den Kern eines neuen christlichen Königreichs aufzubauen.
Mit diesem Sieg begann die „Reconquista“, eine lange, fast 800-jährige Phase, in der christliche Königreiche schrittweise die Iberische Halbinsel zurückeroberten. In diesem jahrhundertelangen Kampf entstanden die späteren mächtigen Königreiche Spanien und Portugal, die nicht nur Europa, sondern auch die Weltgeschichte maßgeblich beeinflussen sollten. Ihre Herrschaft reichte später bis weit nach Amerika, Afrika und Asien.
Die katholische Kirche spielte während der gesamten Reconquista eine wesentliche Rolle. Sie unterstützte und legitimierte den christlichen Widerstand, weihte Könige, segnete Soldaten und betrachtete den Kampf um die Freiheit der Christen als gerechtfertigte Verteidigung gegen fremde Besatzer. Der katholische Glaube verlieh den Kämpfenden moralischen Halt und Sinn. Wallfahrtsorte wie Covadonga, Montserrat und später Fatima symbolisierten die tiefe Verbundenheit zwischen Glauben und nationaler Identität der Iberer.
Gleichzeitig erinnert uns die katholische Kirche heute daran, dass dieser Verteidigungskampf niemals rechtfertigen darf, den Glauben anderen Menschen aufzuzwingen oder Gewalt aus religiösem Fanatismus zu rechtfertigen. Gewalt ist nur als letzter Ausweg in einer unmittelbaren Bedrohungslage gerechtfertigt (vgl. KKK 2308–2314). Glaubens- und Gewissensfreiheit müssen unbedingt respektiert werden (vgl. KKK 160). Rückblickend betrachtet die Kirche die Reconquista sowohl als eine heroische Zeit der Verteidigung christlicher Identität als auch als Mahnung, sich immer wieder neu an den wahren Geist Christi – Liebe, Gerechtigkeit und Frieden – zu erinnern.
Das Vermächtnis von Pelayo und seinen Kriegern lebt bis heute weiter: Covadonga bleibt ein bedeutender Wallfahrtsort, der an die tiefe christliche Hoffnung erinnert, dass Gott auch unter scheinbar hoffnungslosen Umständen auf der Seite derer steht, die ihm treu bleiben. Die Botschaft dieser bewegenden Geschichte fasst der Apostel Paulus im Römerbrief treffend zusammen:
„Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“ (Röm 8,31)
Diese Worte waren und sind das Leitmotiv der Geschichte von Pelayo, Covadonga und der Reconquista. Sie erinnern daran, dass die menschliche Geschichte nicht allein von militärischer Stärke oder zahlenmäßiger Überlegenheit geschrieben wird, sondern letztlich vom Glauben, von Hoffnung und Vertrauen auf Gott – jenem Gott, der Schwäche in Stärke verwandelt und Unmögliches möglich macht.