Die Botschaft von Fatima erinnert uns eindringlich daran, dass wir als Christen nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere Sühnung leisten können und sollen. Was bedeutet es aber konkret, „für andere Sühnung leisten“ zu können, und warum ist das überhaupt möglich?
Der Begriff „Sühnung“ bedeutet in der katholischen Theologie, stellvertretend Genugtuung für die Sünden anderer Menschen zu leisten. Es geht darum, durch Gebete, Opfer, Buße und Werke der Nächstenliebe, die Folgen von Sünden abzumildern und die göttliche Gerechtigkeit zu befrieden. Dies geschieht insbesondere für jene, die sich im Fegefeuer befinden und nicht mehr in der Lage sind, selbst ihre Situation zu verändern.
Die Muttergottes erschien 1917 in Fatima den drei Hirtenkindern Lucia, Francisco und Jacinta und betonte ausdrücklich die Bedeutung der Sühne:
„Betet viel und bringt Opfer für die Sünder, denn viele Seelen kommen in die Hölle, weil niemand für sie betet und Opfer bringt.“
Die Erscheinungen von Fatima unterstreichen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit uns Menschen erlaubt, durch unsere geistlichen Handlungen wirkungsvoll für das Heil anderer einzutreten.
Die Lehre der Kirche erklärt dies mit dem Konzept der „Gemeinschaft der Heiligen“. Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) sagt dazu eindeutig:
KKK 1475: „In der Gemeinschaft der Heiligen besteht nämlich unter den Gläubigen – seien sie schon in der himmlischen Heimat, büßen sie ihre Sünden im Fegefeuer oder pilgern sie noch auf Erden – ein beständiges Band der Liebe und ein überreicher Austausch aller Güter.“
KKK 1476: „Wir nennen ihn den Schatz der Kirche, [...] denn Christus hat durch sein unermessliches Erlösungswerk diesen Schatz der Kirche hinterlassen. [...] Dazu kommen die Gebete und guten Werke der allerseligsten Jungfrau Maria und aller Heiligen, die durch die Gnade Christi dem Heil vieler gedient haben.“
„Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage, und ergänze in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Kirche.“ (Kol 1,24)
Durch diese Gemeinschaft ist es möglich, dass wir füreinander einstehen und füreinander Gnade erbitten. Weil Christus uns durch sein Kreuzesopfer in diese Gemeinschaft hineingenommen hat, sind wir fähig und befugt, unsere geistlichen Verdienste stellvertretend für andere anzubieten.
Die Kirche lehrt, dass die Seelen im Fegefeuer – auch „Arme Seelen“ genannt – sich selbst nicht mehr helfen können. Sie reinigen sich von den verbliebenen Folgen ihrer Sünden, um vollständig in Gottes Herrlichkeit eintreten zu können. In diesem Zustand sind sie auf die Hilfe der Lebenden angewiesen. Der Katechismus beschreibt dies klar:
KKK 1032: „Schon seit frühester Zeit hat die Kirche das Gedächtnis der Verstorbenen in Ehren gehalten und für sie gebetet, insbesondere das eucharistische Opfer für sie dargebracht, damit sie, geläutert, zur glückseligen Anschauung Gottes gelangen.“
Wir können aus dem Überfluss der Gnade, den wir empfangen (durch Gebet, gute Werke, Teilnahme an den Sakramenten), anderen geistlichen Nutzen schenken – besonders jenen, die selbst nicht mehr für sich handeln können, wie die Armen Seelen im Fegefeuer.
Dies bedeutet, dass Gebet, Messe und Ablässe besonders wirksame Mittel sind, um Sühnung zu leisten und den Armen Seelen beizustehen.
Es gibt ganz konkrete Möglichkeiten, Sühnung für die Armen Seelen im Fegefeuer zu leisten:
Gebet und Rosenkranz:
Besonders der Rosenkranz – auch im Sinne der Botschaft von Fatima – ist ein kraftvolles Gebet, um Sühnung zu leisten. Du kannst dabei bewusst an die Armen Seelen denken und Gott bitten, deine Gebete stellvertretend für sie anzunehmen.
Eucharistische Opfer und heilige Messen:
Lasse regelmäßig heilige Messen für Verstorbene feiern oder nimm selbst bewusst mit der Intention an einer Messe teil, Sühnung für die Armen Seelen zu leisten.
Opfer und Buße:
Kleine Opfer im Alltag – Verzichte auf Genussmittel, bewusste Annahme von Schwierigkeiten oder unangenehmen Aufgaben – sind wertvolle Akte der Sühne, wenn du sie bewusst Gott für die Armen Seelen darbringst.
Gewinnung von Ablässen:
Die Kirche bietet konkrete Ablässe an (etwa Friedhofsbesuch im November, Gebete vor dem Allerheiligsten, Rosenkranzgebet in Gemeinschaft oder öffentlich), die du explizit für Verstorbene gewinnen kannst. Dabei erfüllst du Bedingungen wie Beichte, Eucharistie und Gebet in den Anliegen des Heiligen Vaters.
Die Schuld der Sünde wird durch Christus vergeben, wenn wir beichten und bereuen. Aber:
Die zeitlichen Folgen und Unordnungen, die unsere Sünde in uns selbst, in der Welt und in der Beziehung zu Gott verursacht hat, bleiben oft bestehen.
Diese müssen in Gerechtigkeit und Liebe ausgeglichen werden, entweder hier auf Erden durch Buße, Gebet, Werke, Leiden – oder im Fegefeuer, wo diese Reinigung „durch Feuer“ geschieht (vgl. 1 Kor 3,15).
KKK 1472: „Jede Sünde hat eine doppelte Folge: die schwere – ewige Trennung von Gott (bei Todsünde) – und die zeitliche – eine Unordnung in der Schöpfung, die gesühnt werden muss. [...] Diese Sühne kann man entweder in diesem Leben oder nach dem Tod im Fegefeuer leisten.“
Du hast durch Gnade Christi „geistliche Verdienste“ – also gute Werke, freiwillige Opfer, Gebete – die über das hinausgehen, was du für deine eigene Reinigung brauchst. Diesen Überfluss kannst du aufopfern – also „spenden“ – für andere.
Gott nimmt es an, weil er dich in Christus mitwirkend am Heil anderer handeln lässt.
Deshalb ist Sühne nicht „gegen“ das Kreuz Christi, sondern Teilnahme daran:
KKK 1474: „Im übernatürlichen Leben der Glieder Christi besteht eine innige Solidarität: das Leben der einen hilft den anderen. [...] Es gibt eine Gemeinschaft der Heiligen, in der wir einander tragen – gerade auch im geistlichen Bereich.“
Du wirst so zum Werkzeug der Barmherzigkeit und zur lebendigen Verlängerung des Kreuzes in der Welt.
Gott hat uns in seiner Güte und Barmherzigkeit durch die Gemeinschaft der Heiligen die Möglichkeit gegeben, füreinander stellvertretend Sühnung zu leisten. Fatima ist hierbei ein klarer Aufruf, diese geistliche Verantwortung ernst zu nehmen. Indem wir bewusst und konkret für die Armen Seelen im Fegefeuer eintreten, nehmen wir teil an der Heilssendung Christi – aus Liebe und Solidarität im mystischen Leib Christi.