Wenn man über die Lehre vom Gebet zu den Heiligen spricht, fordern Protestanten Katholiken oft heraus mit der Frage: „Zeig mir in der Bibel, wo steht, dass man zu Maria oder den Heiligen beten soll!“ Diese Forderung beruht auf bestimmten Annahmen und doppelten Standards, die einer genaueren Betrachtung bedürfen. Katholiken sind nicht verpflichtet, jede Lehre ausschließlich aus der Schrift abzuleiten, da die Bibel selbst lehrt, dass nicht das gesamte Wort Gottes schriftlich überliefert wurde; es wird auch durch die Heilige Tradition bewahrt (2 Thessalonicher 2,15; 1 Korinther 11,2; 2 Johannes 1,12; 2 Timotheus 2,1–2; Johannes 21,25). Auch wenn es also nicht notwendig ist, jede Lehre ausschließlich durch die Schrift zu beweisen, kann die Lehre von der Fürsprache der Heiligen durchaus durch biblische Rückschlüsse belegt werden.
1. Protestantische Annahmen ansprechen
„Jede Lehre muss ausdrücklich in der Heiligen Schrift gelehrt werden, damit sie wahr ist.“ Diese Annahme stammt aus dem Prinzip der sola scriptura, das jedoch von der Schrift selbst nicht gestützt wird. Selbst wenn sola scriptura akzeptiert würde, ist die Vorstellung, dass jede christliche Lehre ausdrücklich in der Bibel stehen muss, nicht biblisch vorgeschrieben. Zum Beispiel gibt es keine expliziten Verse, die lehren, dass Christus zwei Willen hat, ebenso wenig Verse, die uns befehlen, direkt zum Heiligen Geist zu beten. Dennoch akzeptieren wir diese Wahrheiten aufgrund biblischer Rückschlüsse – genauso wie wir die Gültigkeit des Gebets zu den Heiligen erschließen können.
2. „Eine Praxis muss ein konkretes Beispiel in der Schrift haben, um gültig zu sein“
Die Heilige Schrift verlangt nicht, dass jede christliche Überzeugung ein direktes Beispiel in der Bibel hat. So enthält sie weder Texte, in denen jemand lehrt, das Neue Testament bestehe aus 27 Büchern, noch Beispiele dafür, dass die öffentliche Offenbarung mit dem apostolischen Zeitalter aufgehört habe. Ebenso fehlen biblische Beispiele für das direkte Beten zum Heiligen Geist oder alternative Taufformen ohne fließendes Wasser. Diese Lehren stammen aus der Heiligen Tradition der Kirche, werden aber von vielen Protestanten dennoch akzeptiert – was einen doppelten Standard offenbart.
3. „Das Wort ‚beten‘ hat nur eine Bedeutung“
Einige Protestanten gehen davon aus, „beten“ gelte ausschließlich für die Kommunikation mit Gott. Ursprünglich bedeutet das griechische proséuchomai jedoch „bitten“ oder „ersuchen“. Wenn wir also Heilige „um ihr Gebet“ bitten, erbitten wir ihre Fürsprache bei Gott – eine nicht sündhafte Bitte. Ein Beispiel dafür findet sich in 1 Könige 14,2 (KJV), wo Jerobeam zu seiner Frau sagt: „Steh auf, ich bitte dich“, ohne damit Anbetung auszudrücken.
4. Die biblische Grundlage für die Fürsprache der Heiligen
Die Schrift fordert Christen auf, Gebete und Fürbitten füreinander darzubringen (1 Timotheus 2,1). Nirgends heißt es, diese Praxis ende mit dem Tod eines Gläubigen. Im Gegenteil: Paulus ruft uns auf, Christus im unaufhörlichen Gebet nachzuahmen (1 Thessalonicher 5,16–17). Christus selbst interzessiert für uns im Himmel (Römer 8,34), und da die Gläubigen im Himmel Gott ähnlich gemacht werden (1 Johannes 3,2), können wir sie bitten, für uns zu beten.
5. Weiterführende biblische Belege
Gebet der Märtyrer unter dem Altar (Offb 6,9–10): Nach Öffnen des fünften Siegels rufen die unter dem Altar liegenden Seelen laut: „Wie lange, o Herr … richtest du nicht und rächst unser Blut an denen auf der Erde?“ – ein klares Zeichen, dass Fürbitte mit dem irdischen Tod nicht endet.
Gebetsräucherung im Himmel (Offb 5,8; 8,3–4): Vier lebendige Wesen und vierundzwanzig Älteste bringen vor dem Thron – symbolisiert durch Harfen und goldene Räucherschalen – die Gebete der Heiligen dar. Ein Engel bittet um viel Weihrauch, „dass er ihn mit den Gebeten aller Heiligen darbringe“.
Engel als Überbringer (Tobit 12,15): Erzengel Raphael identifiziert sich als einer der sieben heiligen Engel, „die die Gebete der Heiligen darbringen und vor der Herrlichkeit des Heiligen ein- und ausgehen“.
Freude über reuige Sünder (Lukas 15,7): „Im Himmel wird mehr Freude sein über einen umgekehrten Sünder …“ – nicht nur Engel freuen sich, sondern alle Glieder des Leibes Christi (Gal 5,22–23; 1 Kor 12,26).
Weitere Verweise: Baruch 3,4; Hebräer 12,1; Offb 19,1–5; 2 Makk 15,12–14; Jer 15,1; Heb 12,22–23; Luk 16,19–31; Sir 48,1–11.
6. Häufige Einwände
„Die Heiligen sind tot.“ Diese Vorstellung widerspricht Christi Sieg über den Tod. Zwar haben die Heiligen körperlich gestorben, doch „sie leben im Geist mit Christus im himmlischen Reich“. Jesus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben … wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25–26); und: „Gott ist nicht der Gott der Toten, sondern der Lebenden“ (Mt 22,32; vgl. Joh 8,51). Sie sind tatsächlich lebendiger als wir.
„Heilige um Fürbitte zu bitten ist Nekromantie!“ Deut 18,10–11 verurteilt Okkultpraktiken wie Wahrsagerei und Totenbeschwörung. Die Kirche aber lehrt, von den geistlich in Christus Lebenden – nicht den körperlich Toten – Fürbitte zu erbitten. Das ist keine Nekromantie, sondern das Bitten um brüderliche Fürsprache (vgl. KKK 2116).
Verklärung: Mose und Elija (Mt 17,1–3) – Christus spricht mit Verstorbenen, obwohl Mose Jahrhunderte zuvor starb. Manche sagen, nur Gott dürfe das; doch Christus war auch wahrer Mensch (Gal 4,4; Phil 2,5–8) und unterlag dem mosaischen Gesetz gegen Nekromantie.
„Die Hexe von Endor“ (1 Sam 28): Sauls Sünde war nicht die Begegnung mit Samuel, sondern das Verbot, Medien zu befragen (1 Chr 10,13). Der Text nennt ihn ausdrücklich „Samuel“ (1 Sam 28,15), was Sir 46,20 untermauert.
„Die Heiligen können dich nicht hören!“ Kohelet 9,5 („die Toten wissen nichts“) spricht aus menschlicher Perspektive (Kohelet 1,12–13) und widerspräche, literarisch genommen, selbst biblischer Hoffnung. Zahlreiche Texte zeigen, dass die im Jenseits Lebenden irdische Geschehnisse wahrnehmen.
„Nur Christus ist Mittler“ (1 Tim 2,5): Vers 6 („der sich selbst als Lösegeld für alle hingab“) betont sein Opfer. Paulus fordert aber ausdrücklich Fürbitte füreinander (1 Tim 2,1), und der Heilige Geist wird in Römer 8,26 ebenfalls als Fürsprecher bezeichnet. Würde man aufgrund von 1 Tim 2,5 niemanden sonst um Gebet bitten dürfen, wäre jede Bitte unmöglich.
„Wie können Heilige hören, wenn sie nicht allgegenwärtig sind?“ Die im Himmel Lebenden besitzen vollkommene Erkenntnis und sind „Gott ähnlich“ (1 Joh 3,2; 1 Kor 13,12). „Was bei den Menschen unmöglich ist, ist bei Gott möglich“ (Lk 18,27). Engel und Dämonen handeln global, ohne Allgegenwart; die Heiligen müssen nicht omnipräsent sein, um Gebete wahrzunehmen (vgl. Offb 5,11–13).
„Warum Heilige um Fürbitte bitten statt direkt zu Gott zu gehen?“ Die im Himmel Wohnenden sind weiter Teil des Leibes Christi (Röm 12,4–5; Heb 12,22–24). Katholiken bitten sie, weil sie Gott näher sind (2 Petr 1,4), ihre Gebete „viel vermögen“ (Jak 5,16) und in ihrer vollendeten Heiligkeit rein und wirksam sind (1 Petr 1,16; Judas 1,14), während irdische Sünde unser eigenes Gebet beeinträchtigen kann (Ps 66,18; Spr 28,9; Jes 59,2; Joh 9,31; 1 Petr 3,7; 4,7).