Am 1. November zieht die Kirche ihr größtes Familienfoto aus der Schublade – nicht mit goldenen Rahmen, sondern mit Licht. Allerheiligen ist das Fest derer, die angekommen sind, deren Leben so durchsichtig geworden ist, dass Gottes Glanz hindurchscheint. Die Heiligen im Himmel sprühen so vor Leben, sie sind lebendiger als wir. Es ist nicht der Tag der „Heiligen mit Heiligenschein“, sondern der Tag der Heiligkeit als Berufung – dein Tag, mein Tag, unser Ziel.
Die unsichtbare Mehrheit der Kirche
Das Credo sagt: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen.“ Damit meint es nicht nur die Kanonisierten im Heiligenkalender, sondern alle, die Gott gehören – die Lebenden, die Verstorbenen, die schon vollendet sind und die noch auf dem Weg sind. Die Kirche ist dreifaltig: kämpfend auf Erden (ecclesia militans), leidend im Reinigungszustand (ecclesia patiens), triumphierend im Himmel (ecclesia triumphans). Allerheiligen feiert diese himmlische Spitze, Allerseelen am Tag danach das Purgatorium – zwei Seiten derselben Münze der Hoffnung.
Heiligkeit – kein Privileg, sondern Standardberuf
Jesus ruft in der Bergpredigt (Mt 5,1–12): „Selig, die arm sind im Geiste…“ – die Seligpreisungen sind der Lehrplan für Heilige. Nicht Visionen oder Wunder machen sie aus, sondern Gehorsam, Demut, Barmherzigkeit und Reinheit des Herzens. Heiligkeit heißt nicht, keine Fehler zu haben, sondern sich immer wieder finden zu lassen. Das Heilige entsteht dort, wo das menschliche „Ich will“ vom göttlichen „Dein Wille geschehe“ überformt wird.
„Heiligkeit ist nichts anderes, als das alltägliche Tun außergewöhnlich gut zu tun.“
– Hl. Josefmaria Escrivá
Liturgischer Blick: die triumphierende Stadt
Die Offenbarung des Johannes (Offb 7,2–17) liefert die Vision: unzählbare Schar in weißen Gewändern, Palmen in den Händen, vor dem Thron des Lammes. Diese Szene ist kein Science-Fiction für die Ewigkeit, sondern Gegenwart, sobald wir die Messe feiern. Denn jede Eucharistie ist Himmel auf Erden, und die Heiligen sind Mitfeiernde. Wenn der Priester die Präfation singt – „Darum preisen wir dich mit den Chören der Engel“ –, öffnet sich liturgisch der Vorhang: Wir stehen inmitten derer, die uns vorausgegangen sind.
Warum dieses Fest revolutionär ist
Allerheiligen ist ein radikales Gegenprogramm zur modernen Selbstoptimierung. Die Welt sagt: „Sei besonders!“ – Christus sagt: „Sei heilig.“ Die Welt meint: „Mach Eindruck!“ – Christus meint: „Mach Abbild.“
Heiligkeit ist keine Flucht aus der Welt, sondern ihre Durchdringung mit Liebe. Wenn Heilige auftreten, riecht die Welt wieder nach Gott. Franz von Assisi, Katharina von Siena, Edith Stein, Maximilian Kolbe, Mutter Teresa – sie alle beweisen: Es gibt kein Jahrhundert ohne Heiligkeit, nur Generationen, die sie vergessen haben.
Heilige als Freunde und Mentoren
Katholische Spiritualität ist zutiefst personal: Wir glauben nicht an anonyme Ideale, sondern an Freunde im Himmel. Jeder Heilige zeigt ein anderes Gesicht Christi – die Sanftmut des Franziskus, die Klarheit der Katharina, die Tapferkeit des Kolbe, die Kontemplation der Theresia. Darum haben wir Patronate: Damit unser Glaube Körper bekommt, Biographie, Duft von Schweiß und Gebet.
„Jede Heilige ist eine göttliche Melodie, die Gott einmal und nie wieder spielt.“
– Hans Urs von Balthasar
Heiligkeit beginnt im Alltag
Die Liturgie des Tages stellt uns in diese Linie. Die Eucharistie, in der wir Christus empfangen, ist das Heiligungsprogramm schlechthin: Sie verwandelt, was wir ihr hinlegen – Brot, Wein, Mühe, Zeit – in Gnade.
Heiligkeit ist also kein Endprodukt, sondern ein Prozess aus vielen kleinen „Ja“:
das Ja zur Geduld mit einem schwierigen Menschen,
das Ja zum Gebet trotz Müdigkeit,
das Ja zur Wahrheit, wenn Lüge leichter wäre.
Solche unscheinbaren Ja sind das Rohmaterial der Heiligkeit.
„Heiligkeit heißt, dass Gott durch dich hindurchscheint“
Die Ikonen der Ostkirche nennen ihre Figuren nicht „Götterähnlich“, sondern „vom Licht durchdrungen“. So will die Kirche dich sehen: transparent für Christus. Das Ziel ist kein Denkmal, sondern ein Strommast – du sollst den Strom Gottes weiterleiten.
Darum endet Allerheiligen nie am Friedhof, sondern am Tabernakel: Dort glüht das Herz, das alle Heiligen genährt hat – der Leib des Herrn.
Allerheiligen bedeutet:
Der Himmel ist nicht leer.
Die Welt ist nicht verloren.
Das Licht ist tiefer als die Nacht.
Die Liebe hat das letzte Wort.
Der Tod ist besiegt.
Jesus ist auferstanden.
Die Heiligen sind der Beweis.
Sie waren Menschen wie du
– mit Schwäche, Zweifel, Staub auf den Schuhen.
Aber sie haben sich von der Gnade treffen lassen.
Sie haben Gott Raum gegeben
– und Er hat durch sie geleuchtet.
Wenn du dich lieben lässt, fängt es an.
Wenn du verzeihst, wächst es.
Wenn du betest, brennt es.
Wenn du dienst, strahlt es.
Und du bist eingeladen,
ein Platzhalter des Lichtes zu werden –
ein Fenster des Himmels in einer müden Welt.
Lass Gott durch dich hindurchscheinen,
bis jemand in deinem Blick die Ewigkeit ahnt.
Also: zünde heute eine Kerze an – nicht nur für die, die schon bei Gott sind, sondern auch für dich selbst, dass du aufhörst, weniger zu wollen, als du bist: berufen zur Heiligkeit.