Pier Giorgio Frassati (1901–1925) ist ein atemberaubendes Beispiel für integrierte, heroische Männlichkeit, nach der die moderne Welt sich sehnt. Äußerlich führte er das Leben eines typischen italienischen Aristokraten. Sohn des Gründers der liberalen Zeitung La Stampa und italienischer Botschafter in Deutschland, bewegte er sich in den höchsten Kreisen der säkularen Gesellschaft. Er war gutaussehend, tadellos gekleidet, Student des Ingenieurwesens, Mitglied eines Fechtclubs, Mittelpunkt einer großen Freundesgruppe, die er mit Scherzen und lebhaften Debatten füllte. Er war leidenschaftlicher Bergsteiger und führte Expeditionen in die Alpen. Sein berühmter Ruf „Verso l’alto!“ („Hinauf zu den Höhen!“) war nicht nur ein Aufruf zum Klettern, sondern ein geistliches Lebensmotto: ständiges Streben nach der Höhe der Heiligkeit.
Doch dieses lebendige Sozialleben war nur die äußere Hülle. Im Inneren war er Mystiker und Apostel. Sein Herz gehörte ganz Christus. Er engagierte sich tief in katholischen Jugendverbänden, besuchte täglich die Messe, empfing die Eucharistie in großer Andacht (er nannte sie seine „tägliche Verabredung mit Jesus“) und verbrachte Stunden im Gebet. Das war keine trübe, verdrängte Frömmigkeit – es war die Quelle seiner immensen Freude und seiner magnetischen Persönlichkeit. Sein Glaube gab ihm einen festen, unerschütterlichen Kern in einer Welt, die in ideologisches Chaos abglitt.
Seine Nächstenliebe war die radikalste Ausdrucksform dieses Glaubens. Während seine Familie politische und kulturelle Eliten in ihrem prächtigen Haus empfing, war Pier Giorgios wahres Missionsfeld das Elend der Slums im industrialisierten Turin. Er trat der Vinzenzgemeinschaft bei, widmete jede freie Minute und jeden Lira seines Taschengelds den Armen, Kranken und Waisen. Er gab sein Zugticket her und lief nach Hause; er verschenkte Schuhe und Mantel an einen frierenden Bettler und kehrte selbst frierend heim. Das war keine abstrakte, ideologische „soziale Gerechtigkeit“, wie sie linke Aktivisten von Universitätsbänken predigen – das war Caritas: persönliche, opferbereite, face-to-face Liebe für Christus im „Geringsten“. Eine Barmherzigkeit, die in Wahrheit wurzelt, nicht in politischer Ideologie.
Darüber hinaus wusste Pier Giorgio, dass wahre Liebe zum Nächsten auch die Verteidigung der Wahrheit verlangt. Er lebte im aufgewühlten Italien nach dem Ersten Weltkrieg, wo Faschismus und Kommunismus um die Seele der Nation kämpften. Beide lehnte er entschieden ab. Im Faschismus sah er einen heidnischen Staatskult, der Gott und Kirche verdrängen wollte; im Kommunismus eine gottlose Ideologie, die Familie und Glauben zerstören wollte. Er organisierte Proteste, verteilte Flugblätter gegen Mussolini und blieb unbeirrbar katholisch. Kein Opportunismus, kein Mitläufertum, sondern klares, furchtloses Zeugnis.
Sein Tod mit nur 24 Jahren an Polio war das letzte Opfer seiner Nächstenliebe. Wahrscheinlich hatte er sich bei den Kranken, denen er diente, angesteckt. In seinen letzten Tagen ertrug er Qualen schweigend, schrieb noch Notizen vom Krankenbett, damit seine Armen versorgt blieben, und verbarg sein Leiden, um die Familie nicht zu belasten. Seine Heiligkeit kam erst beim Begräbnis ans Licht: Die Oberschicht Turins, die den Sohn eines Würdenträgers betrauern wollte, war erschüttert vom Aufmarsch Tausender Bettler, Kranker und Ausgestoßener, die ihren Freund beweinten. In diesem Moment stand die Nichtigkeit weltlichen Ruhms im Gegensatz zum unvergänglichen Wert heiliger Nächstenliebe. Pier Giorgio, der fröhliche Bergsteiger, hatte den höchsten Gipfel erreicht.