Der liturgische Vorhang hebt sich und offenbart das Herzstück des ganzen Kirchenjahres: eine Tischgemeinschaft im Obergeschoss von Jerusalem. Dort, im Zwielicht einer jüdischen Paschanacht, legt Christus einen doppelten Grundstein: Eucharistie und Priesterweihe. Indem er Brot bricht und Kelch reicht, macht er sich selbst zur bleibenden Speise – und indem er den Aposteln befiehlt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“, überträgt er ihnen Vollmacht und Auftrag gleichzeitig. Seither haben Wort und Brot denselben Leib: Das geweihte „Hoc est enim corpus meum“ („Dies ist mein Leib“) ist nicht bloß Proklamation, sondern Wahrheit.
Königliche Selbsthingabe und skandalöse Dienstbereitschaft. Während die Jünger noch diskutieren, wer der Größte sei, entkleidet sich der Meister, um Füße zu waschen (Joh 13). Das ist keine schmückende Randnotiz, sondern die Eucharistie in szenischer Form: Wer den Leib Christi empfängt, muss damit rechnen, selbst zum „gebrochenen Brot“ für andere zu werden. Die Fußwaschung ist praktische Theologie: Größe misst sich in der Tiefe der Kniebeuge vor dem Nächsten.
„Greindonnerstag“ – der Tag der Tränen. Der deutsche Name irritiert: Weder grün noch donnernd. Etymologisch heißt grînan = weinen / klagen. In der frühen Kirche wurden an diesem Tag die Büßer – oft unter Tränen – wieder in die sakramentale Gemeinschaft aufgenommen, damit sie an Ostern erstmals (oder erneut) die Eucharistie empfangen konnten. Gründonnerstag ist also zugleich Freudentag des Heils und Tag der Buße: Niemand soll am österlichen Mahl vorbeigehen, ohne durch das Tor der Versöhnung zu schreiten.
Nach dem Gloria verstummt die Glocke; die Orgel schweigt. Der Altar wird abgeräumt, als wolle die Liturgie sagen: Zwischen Mahl und Kreuz liegt nur ein Atemzug. Dann beginnt die Ölberg‑Vigil. Das eucharistische Brot wird in einer Neben‑Kapelle, dem so genannten „Ölbergaltar“, ausgesetzt. Dort erfüllt sich Jesu Bitte: „Bleibt hier und wacht mit mir.“ (Mt 26,38) Jede Stunde der Anbetung, jedes müde Gegrummel des Rosenkranzes ist Antwort auf das göttliche Ringen in Gethsemane. Wer bleibt, lernt, dass Erlösung nicht im Aktivismus wächst, sondern im stillen Ja unter blutigen Schweißperlen.
Thomas von Aquin nennt die Eucharistie „Mysterium fidei“, das Sakrament, in dem „alle anderen Sakramente wie in ihrem Mittelpunkt zusammenlaufen“. Kein Wunder, dass Christus am selben Tisch auch das Weihesakrament stiftet. Denn ohne geweihten Priester kein konsekriertes Brot und ohne konsekriertes Brot keinen lebendigen Leib Christi inmitten der Welt. Gründonnerstag erinnert uns: Das Priestertum ist keine Karriere‑Option, sondern eine mit Brotkrumen gefüllte Todesanzeige – „Tut dies!“ bedeutet zugleich „Gebt euch hin!“
In derselben Nacht versiegelt Jesus das „neue Gebot“ (Joh 13,34): „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“ Diese Imperativform wäre überfordert, bliebe sie moralisches Plakat. Doch sie ist sakramental grundiert: Wer kommuniziert, empfängt exakt die Liebe, die er weitergeben soll. Das Neue Gebot ist also weniger Aufgabe als Durchfluss. Die Kirche lebt, wenn der Kelch im Gottesdienst in konkrete Werke der Barmherzigkeit überfließt – von der Suppenküche bis zur Ehe‑Geduld des Alltags.
Die Liturgie endet ohne Entlassungsruf: kein „Gehet hin in Frieden“. Gründonnerstag bleibt bewusst offen – ein Cliffhanger, der in Karfreitag hineinzieht. Die leere Kirche wirkt wie der Vorraum eines Gerichtsgebäudes; wir wissen, dass der Verrat bereits unterwegs ist. Aber wer die Hostie in der Seitenkapelle anbetet, sieht durch Gethsemane hindurch schon den Ostermorgen schimmern: Das Blut, das gleich im Garten zu Boden tropft, wird am dritten Tag in Wein der Unsterblichkeit verwandelt.
So lädt Gründonnerstag ein, die drei großen Gesten Jesu zu spiegeln: die Hände, die Brot brechen; die Knie, die Füße waschen; das Herz, das wachet und betet. Wer diese Trias übt, tritt ein in den innersten Puls des Triduum: Opfer wird Gegenwart, Dienst wird Herrlichkeit, Dunkel wird Licht. Lass dich also heute an den Tisch rufen, unter den Tisch beugen und mit dem Tischherren wachen – bis das alle Welt verwandelnde „Es ist vollbracht“ erklungen sein wird.