Am ersten Adventssonntag richtet die Kirche den Blick auf das Ende aller Zeiten und den Beginn des Heils. Advent bedeutet Erwartung: Gott kommt. Die Liturgie zeigt die dreifache Bewegung dieses Kommens – in der Menschwerdung, am Ende der Tage in Herrlichkeit und jetzt, im adventus medius, im Herzen des wachen Christen. Die Lesungen rufen auf: wach werden, aufstehen, im Licht leben.
Jesaja 2,1–5:
Jesaja schaut das Endziel der Geschichte: alle Völker strömen zum Gottesberg, wo der Herr Recht spricht und Frieden stiftet. Schwerter werden zu Pflugscharen – ein radikaler Bruch mit der Gewaltlogik dieser Welt. Das Volk Gottes soll im Licht des Herrn gehen: hin zu einer neuen Weltordnung, gegründet auf Gottes Wort.
Psalm 122:
Der Aufstieg nach Jerusalem wird zum Bild der pilgernden Kirche. Frieden und Geborgenheit im Haus Gottes sind Ziel und Sehnsucht des Volkes. Jerusalem wird Zentrum des Gerichtes und des Segens – ein Vorausbild der endzeitlichen Sammlung der Völker.
Römer 13,11–14a:
Paulus ruft unmissverständlich zur Umkehr: Die Nacht ist fast vorbei, der Tag bricht an. Christen sollen die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anlegen. Das neue Gewand ist Christus selbst – ein moralischer und mystischer Rüstungswechsel für den Anbruch des Heils.
Matthäus 24,29–44:
Jesus beschreibt das Kommen des Menschensohnes in Macht und Herrlichkeit. Niemand kennt die Stunde. Wie zu den Tagen Noachs wird die Welt im Alltag überrascht. Darum: wach bleiben, bereit sein, im Licht leben.
Alle Lesungen rufen dieselbe Wahrheit aus: Gott kommt – darum muss der Mensch aufstehen, umkehren und im Licht leben.
Jesaja zeigt das Ziel: Gottes endgültigen Frieden.
Paulus ruft in die Gegenwart: Die Nacht ist vorüber, der Tag ist nahe.
Jesus offenbart die Zukunft: Der Menschensohn kommt plötzlich und sichtbar.
Doch der Advent kennt nicht nur Anfang und Ende. Die Tradition, besonders Bernhard von Clairvaux, spricht vom dritten Kommen: Christus, der unsichtbar und dennoch wirklich jetzt in jene Herzen kommt, die wach und gereinigt leben. So steht die Kirche zwischen Verheißung und Vollendung – gerufen zu Wachsamkeit, Reinheit und Hoffnung.
Die drei biblischen Bewegungen bilden eine einzige geistige Dynamik:
Jesaja zeigt die Bewegung Gottes zu allen Völkern.
Paulus zeigt die Bewegung der Kirche vom Dunkel ins Licht.
Jesus zeigt die Bewegung des Menschensohnes vom Himmel zur Erde.
Diese drei Bewegungen treffen sich in der wachen Seele, denn dort geschieht das adventus medius.
Darum beginnt die Wiederkunft Christi nicht erst am Ende der Zeit – sie beginnt im Herzen des Menschen, der aufwacht, Buße tut und Christus anzieht.
Wenn Paulus sagt: „Zieht den Herrn Jesus Christus an“ (Röm 13,14), spricht er nicht nur moralisch, sondern mystisch:
Das Herz, das Christus anzieht, wird Ort seiner Ankunft.
Die Seele wird zum Raum, in dem der kommende Herr schon jetzt erscheint – erster Vorgeschmack der Vollendung.
So entsteht die Logik des Advents:
Wer wach lebt, macht das Licht des kommenden Tages schon jetzt sichtbar.
Wer umkehrt, bereitet dem König den Weg.
Wer im Licht geht, beschleunigt (2 Petr 3,12) das Kommen des Herrn.
Advent ist darum kein Warten auf etwas Äußeres, sondern ein Sich-Öffnen für die innere Bewegung Gottes, der sich in der Seele niederlässt und dort die Ankunft des Tages vorbereitet.
Früher aufstehen – geistlich:
Nimm dir jeden Morgen fünf Minuten, knie nieder und bete:
„Herr, wecke mein Herz, damit ich in deinem Licht gehe.“
Schwerter zu Pflugscharen – im Alltag:
Verzichte bewusst auf ein „Schwert“ (eine harte Bemerkung, Gereiztheit)
und ersetze es durch einen Akt des Friedens oder der Versöhnung.
Christus anziehen:
Wähle täglich eine konkrete Tugend – Geduld, Reinheit, Großzügigkeit –
und lebe sie als Waffe des Lichts.
So bereitest du dem kommenden Herrn den Weg in deinem Herzen.